Sanfte Augen schauen mich neugierig an und lassen mich nicht mehr los. Ich gehe hin und streiche mit meinen kleinen Händen über das glänzende Fell. Ich vergesse die Zeit, alles um mich herum verschwimmt und ich bin ganz bei dir. Du ziehst mich in deinen Bann und bist so wunderschön, voller Kraft und Gutmütigkeit.
Meine Finger gleiten durch deine volle blonde Mähne und flechten sie zu einem kleinen Zöpfchen. Du lehrst mir Mut, Geduld, Achtsamkeit und meine Gedanken und Sorgen völlig loszulassen. Gemeinsam erleben wir große Abenteuer und werden zu einem eingespielten Team. Entdecken die Natur und ihre Schönheiten, aber auch ihre Gefahren, bewältigen Herausforderungen und lernen aufeinander acht zu geben. Hier bei dir gibt es keine lauten Worte, kein Misstrauen und keine Geheimnisse. Ich lache aus vollem Herzen, wenn ich dich sehe und weine mir die Seele aus dem Leib, wenn du krank bist. Du bist ein wichtiger Teil meines Lebens und ich kümmere mich um dich – übernehme Verantwortung für dich. Was wäre, wenn?
Was wäre, wenn mir diese wundervolle Begegnung verwehrt worden wäre? Ich dich nicht hätte kennenlernen dürfen? Was wäre, wenn ihr mich stattdessen vor einem Fernseher ruhig gestellt hättet? Ich bin unruhig. Es kribbelt in meinen kleinen Beinen. Er ballt seine Hände zu Fäusten. Ich sehe eine junge Frau, die bewusstlos zu Boden fällt. Und Fernseher aus! Es wird schwarz. Ich gehe schlafen. Buchstaben und Zahlen drehen sich in meinem Kopf. Ich schlafe ein. Putze mir die Zähne und mach‘ mich fertig. Es muss alles schnell gehen. Hektisch zerrt ihr mich ins Auto. Ich habe keine Zeit, die Welt zu entdecken und zu träumen. Sei bitte nicht so laut! Das verstehst du doch?
Die Lebensphase der Kindheit wird immer kürzer. Kinder werden oft als kleine Erwachsene gesehen. Bewegungsimpulse werden unterdrückt, Krisensituationen müssen schnell und erfolgreich bewältigt werden. Informationen prasseln auf die kleinen Köpfe ein und müssen verarbeitet werden. In einer Welt der Reizüberflutung und ständigen Erreichbarkeit können wir uns verlieren. Wir können selbst oft nicht mehr unterscheiden, welche Information wichtig und welche weniger wichtig ist. Jegliche Information strömt ungefiltert auf die kleinen Erwachsenen ein. Eine Auszeit in der Natur hilft abzuschalten. Gerade im Kindesalter lernen wir wichtige soziale Kompetenzen. Pferde, die im Herdenverband leben, zeigen die sozialen Spielregeln vor. Naturfremde Kinder finden durch den Umgang mit den Pferden zur Natur zurück und entdecken neuen Bewegungsraum. Sie sind es gewohnt, dass ihre Schwächen beim Namen genannt werden. Hier ist es anders. Das Pferd hört zu, es hört sogar ganz genau hin. Schnell entsteht eine Beziehung zum Pferd und eine unendliche Faszination wird ausgelöst. Warum?
Generell verfügen Tiere über einen hohen „Aufforderungscharakter“. Das bedeutet, dass sie uns anregen, aktiv zu werden. Das Pferd, besonders der Haflinger ;), ist ein aufgeschlossenes Tier, das seine Nähe nicht aufdrängt (zumindest wenn man gerade kein Futter dabei hat). Pferde sind Fluchttiere und registrieren die kleinsten Veränderungen und Körpersignale mit besonderer Präzision. Sie sind Meister der nonverbalen Kommunikation und verdanken dieser lautlosen und und vor allem eindeutigen Art der Mitteilung ihr Überleben. Pferde lehren uns, wie wichtig es ist, uns verständlich und deutlich mitzuteilen. Schönheit, Eleganz und Freiheit werden im Pferd vereint. Diese Eigenschaften faszinieren uns. Im Umgang mit dem Pferd lernen wir Gefühle zu zulassen und Verantwortung für ein Lebewesen zu übernehmen. Pferde sind Herdentiere und helfen uns im Erlernen sozialer Umgangsformen. Das Herdenverhalten kann auf das gesellschaftliche Miteinander umgelegt werden. Eine Pferdeherde ist darauf ausgerichtet, die gesamten Mitglieder vor Gefahren zu schützen. Dies gelingt nur durch die Einhaltung der festgelegten Rangfolge. Es finden sich aber auch pflegende, freundliche und spielerische Verhaltensweisen.
Pferde verfügen über dreidimensionale Schwingungsimpulse. Der Körper des Reiters muss sich laufend an die Bewegungen des Pferdes anpassen, da es nie zu gleichen Bewegungen kommt, sondern nur zu ähnlichen. Zwischen Pferd und Reiter kommt es durch das ständige Anpassen und die Hilfen, die der Reiter dem Pferd zukommen lässt, zu einem Dialog. Beim Reiten werden wir getragen. Das Getragenwerden ist ein ureigenes und ausschlaggebendes Element des Trostspendens. Es schenkt Sicherheit. Säuglinge und Kleinkinder genießen dieses Privileg und fordern es gerne ein. Das getragene Kind wird durch den Rhythmus des Herzschlags und durch die vom Träger ausgehende Wärme beruhigt. Auch ältere Kinder und Erwachsene haben das Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit. Wir sehnen uns in Situationen, die uns erdrücken und uns klein fühlen lassen, nach dem Getragenwerden.